Stadtmeisterschaft Erfurt 2024

17. September 2024

Die Stadtmeisterschaft wurde dieses Jahr zum achten Mal in Folge vom SV Medizin Erfurt organisiert und diente dem Verein zugleich als Vereinsmeisterschaft. Sie bestand diesjahr aus 7 Runden nach Schweizer System und qualifizierte zur Bezirkseinzelmeisterschaft Mittelthüringen.

Anders als ein Open findet die Stadtmeisterschaft nicht zeitlich begrenzt auf ein Wochenende oder oder eine Woche statt. Sie zieht sich vielmehr von Februar bis September mit einer Runde pro Monat, jeweils am zweiten Freitag um 19:00 Uhr.

Sie ist daher insbesondere für erwerbstätige Schachspieler eine gute Variante. Vor allem da das Schachtraining von Turm ohnehin am Freitag 19:00 Uhr ist und das Spiellokal von Medizin Erfurt nur unwesentlich weiter weg liegt, gefiel mir dieses Angebot für etwas mehr Spielpraxis sehr gut. Die Bedenkzeit ist auf das Minimum zur DWZ-Auswertung begrenzt. Das sind 90 Minuten für die Partie plus 30 Sekunden pro Zug. Die Partien dauerten also realistisch maximal 4 Stunden, meist jedoch zwischen zwei und drei Stunden, sodass es 22:00 Uhr wieder nach Hause ging.

Ich hatte zuerst im Stadtteilzentrum Herrenberg von der Stadtmeisterschaft gehört. Erik, einer der Stammspieler dort, spielte wohl schon einige Jahre in dem Turnier und hatte damit mein Interesse geweckt. Bei Turm konnte mir Bernward von seinen Erfahrungen mit dem Turnier berichten und sprach mir zu, mitzumachen. So motiviert entschloss ich mich Anfang des Jahres, meinen Hut in den Ring zu werfen.

Ich rechnete mir keine großen Chancen
aus. Nach DWZ war ich als Zehnter von 24 Teilnehmern gesetzt. Favorit war Gunnar Kirschbaum von Medizin. In der Vergangenheit hatten er, Matthias Jakob und Ulrich Zeuner, alle drei vom Medizin Erfurt, die
Meisterschaft unter sich aus gemacht. Doch dieses Jahr war von dem Trio nur Gunnar Kirschbaum angetreten, um den Pokal zur
Stadtmeisterschaft bei Medizin zu behalten.

Insgesamt traten sieben Spieler vom Medizin Erfurt in der Stadtmeisterschaft an, fast genauso viele Teilnehmer stellte mit fünf der SV 1899 Vieselbach, weitere drei fanden sich vom USV Erfurt ein, je zwei kamen von den fuß brothers Jena und vom SC Rochade Zeulenroda, der Rest verteilte sich auf eine Auswahl anderer Clubs. Ich war der einzige vom SC Turm Erfurt.

Aber kommen wir zum Ablauf.
Mit einem Startplatz knapp in der oberen Hälfte kommt man in einem Schweizer Turnier immer in den Genuss einer vorgeblich einfachen ersten Runde. So wurde mir Hartmut Köthe vom SV Vieselbach zugelost. Mit 600 DWZ Unterschied sollte das eigentlich ein leichtes Spiel für mich werden, aber was ist schon jemals leicht?

Ich spielte mit Schwarz in eine
spanische Abtauschvariante hinein und merkte sofort, dass es etwas anderes ist, spät abends zu spielen. Die Zeitkontrolle ließ mich unvernünftig schnell spielen. Trotzdem gelang mir ein erfolgreicher Angriff am Königsflügel und ich tat, was ich in solchen Situationen gerne tue, ich opferte einen Zug zu früh. Hartmut fand ein starkes Gegenopfer und ich sah die Partie schon verloren. Dabei übersah ich ein einfaches Zwischenschach, das mir die Dame gewonnen hätte.
Stattdessen ging ich in eine Variante mit Figurverlust. Dankbarerweise übersah jedoch auch mein Gegner ein Zwischenschach und es ging mit einer Qualität Vorteil für mich ins Endspiel. Als ich dann noch einen Springer am Rand einfing, hatte ich mit viel Glück die erste Runde gewonnen.

Für die zweite Runde wurde mir Hannah Rösler als Gegnerin zugeteilt.
Ich spielte also am internationalen Frauentag gegen die einzige Frau im Feld. Manchmal ist das Leben witzig. Ich hatte mich auf ein Sizilianisch vorbereitet und das spielte sie auch. Ich kam also sehr gut durch die Eröffnung und hatte mich auch schon viel besser an das Abendspiel und die Bedenkzeit gewöhnt. Es war eine Partie der Läuferspieße. An mindestens drei Stellen in dem Spiel musste ich eine Taktik aufgeben, weil mich sonst Hannah mit einem Spieß gekontert hätte.

Ich atmete einmal tief durch und erinnerte mich an einen meiner Lieblingsratschläge. „When in doubt, threaten mate.“ (Wenn du dir nicht sicher bist, drohe Matt.)

Ich drohte also in kurzer Abfolge zweimal Matt und sie reagierte nicht präzise genug, sodass die dritte Drohung tatsächlich zum Matt führte.

Während in der ersten Runde noch fast alle aus der ersten Hälfte gewonnen hatten, war die zweite Runde die Stunde der Underdogs. Keiner der höher gewerteten Spieler aus der oberen Hälfte konnte seine Partie gewinnen. Ich hatte mit Hannah gegen die auf Platz 5 gesetzte Spielerin gewonnen. Außer mir hatten nur Sören Peters vom USV Erfurt und Jarosch Wolfram von den fuß brothers Jena die vollen 2 Punkte erlangt und ebenfalls ihre besser gewerteten Gegner geschlagen, der Rest der oberen Hälfte spielte Remis.

Für die dritte Runde wurde mir der Turnierfavorit Gunnar Kirschbaum zugelost.

Mit Schwarz gegen einen fast 300 DWZ höher gewerteten Gegner wäre ich mit einem Remis mehr als zufrieden gewesen.
Ich bereitete mich also auf die Partie vor und hatte erneut Glück. Die richtige Eröffnungsvariante war in meiner Vorbereitung dabei gewesen. Somit konnte ich die ersten zehn Züge spielen, ohne auch nur unter die anderthalb Stunden Startzeit zu geraten.
Nach weiteren zehn Zügen gelangten wir in die kritische Stellung, in der Kirschbaum auch den richtigen Bauerndurchbruch fand. Leider übersah er im Folgenden einen wichtigen Zwischenzug, sodass ich mit einem Mehrbauern aus der Komplikation kam. Gunnar nutzte daraufhin das Vorrecht des nominell stärkeren Spielers und bot mir Remis. Die Stellung war leicht besser für mich, jedoch sah ich keinen klaren Plan. Also nahm ich an.

Mit der dritten Runde hatte Jarosch Wolfram aus Jena das Turnier für sich beendet. Allerdings ohne das der Turnierleitung zu sagen, sodass Sören Peters am Spitzenbrett kampflos gewann. Derartige Turnierverzerrungen passieren leider hin und wieder. Ich war sehr froh, dass ich nicht direkt betroffen war.

Nichtdestoweniger hatte dadurch Sören Peters ziemlich glücklich drei aus drei Punkten geholt und stand auf dem ersten Platz. Er war am elften Platz also einen Platz hinter mir gestartet. In der ersten Runde hatte er also gegen den zweitletzten Meldeplatz gespielt. In der zweiten Runde war ihm der gleichstarke Rainer Stumm zugelost worden, der am einzigen Remis der ersten Runde beteiligt war.

Und so begegneten sich nun zum Beginn der vierten Runde überraschend Meldeplatz 10 und 11 an der Tabellenspitze und spielten an Brett 1.

Ich hatte Weiß und bereitete mich richtigerweise auf ein Französisch vor. Leider verließ mich nach 4 Zügen schon die Theorie und ich fand mich stark eingeengt und unterentwickelt in einer unangenehmen Position wieder. Ich zog also den Kopf ein und löste langsam und beständig den Stellungsknoten.
Sören rochierte in die falsche Richtung und dann war sein Vorpostenspringer beinahe gefangen. Es folgte eine kurze taktische Schlagabfolge, an deren Ende ich entweder die Dame, zwei Läufer oder direkt Matt gewonnen hätte. Sören gab auf.

Auf einmal stand ich mit 3,5 Punkten punktgleich mit Jürgen Heß auf Platz 1.

Mir wurde ein zweites Mal in Folge Weiß zugelost. Jürgen Heß von der SG Arnstadt-Stadtilm hatte die zweithöchste DWZ des Turniers.
Er spielt ebenfalls in der Landesklasse Ost. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ich ihm diese Saison ein zweites Mal dann in der Liga begegne.
Unser Spiel war für den Eröffnungstag der Fußball-EM angesetzt. Die meisten Spiele wurden darum schon vorgespielt. Das ist bei der Stadtmeisterschaft möglich, wenn man sich mit dem Gegner auf einen gemeinsamen Termin verständigt und diesen der Turnierleitung zuvor mitteilt. Ein sehr praktisches Arrangement, welches das Turnier noch ein ganzes Stück mit dem Alltag vereinbarer macht.

Diejenigen, die an dem Tag spielten, beeilten sich etwas früher anzufangen. Die Ausnahme war mein Gegner Jürgen Heß, der sich etwas verspätete. Das gepaart mit der Tatsache, dass wir eine mir sehr gut bekannte Eröffnungsvariante spielten, bedeutete, dass ich nach ungefähr zehn Zügen eine gute halbe Stunde Zeitvorteil hatte. Das ist bei nur 90 Minuten Gesamtzeit eine Menge. Dann drohte ich einmal Matt, gab mit meinem Springer Schach und Jürgen zog seinen König auf das falsche Feld. Zwei Züge später gab er auf, weil er seine Dame hätte geben müssen, um dem Matt zu entkommen.
Im Nebenraum sahen wir der Wiederholung zum 2:0 für Deutschland zu und auf dem Rückweg hörte ich noch den Jubel zum 3:0. Die letzten drei Tore sah ich Zuhause. Ein sehr schöner Tag.

Mit 4,5 Punkten aus 5 Spielen war ich damit auf dem ungeteilten ersten Platz. Gunnar Kirschbaum folgte mit 4 Punkten, alle anderen hatten weniger.

Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass bei diesem Turnier etwas für mich zu holen war. Vielleicht war sogar der Turniersieg drin.

Doch zunächst ging es in die Sommerpause, Deutschland verlor im Viertelfinale gegen Spanien und danach stand für mich eine Begegnung an, die ich nur zu gut kannte.
Schon fünfmal hatte ich gegen Eugen Mantu vom Medizin Erfurt gespielt. Das erste Aufeinandertreffen war im Finale des Bezirkspokal Mitte 2023 gewesen. Die klassische Partie hatte ich mit Schwarz gegen ein für mich neues Londoner System nach vielleicht 12 Zügen verloren. Im darauffolgenden Stechen ging ich auch im Blitz (3’|2“) zweimal sang- und klanglos gegen ihn unter.

Die zweite Begegnung war im November 2023 in der Liga. Wieder hatte ich Schwarz und erlaubte mir einen groben Eröffnungsfehler. Ich kämpfte diesmal etwas länger, verlor dann allerdings im Endspiel.

Zuletzt hatten wir im Finale des Bezirkspokal Mitte 2024 gespielt. Natürlich hatte ich Schwarz und mich nicht weiter auf die Eröffnung vorbereitet. Doch ich spielte ein ganzes Stück sicherer und es gelang mir zumindest ein Remis. Das reichte jedoch leider nicht.
Medizin gewann das zweite Pokalfinale in Folge gegen uns.

Jetzt ging unsere Rivalität also in die vierte Runde.
Erneut hatte ich Schwarz, Eugen hatte Weiß. Doch ich hatte diesmal zwei Monate Zeit, mir die Eröffnung anzuschauen. Sodass es mich nicht wirklich überraschte, dass Mantu diesmal kein London spielte. Stattdessen spielte er 1.Sf3, wogegen ich natürlich gar kein Repertoire hatte. Aber egal, ich spielte sinnvolle Züge, wählte selbst mit Schwarz eine Art Londoner Aufbau und fand zur richtigen Zeit den Bruch auf e5.

Ich kam relativ gut aus der Eröffnung heraus und sah wie am Nachbartisch Gunnar Kirschbaum gegen seinen Gegner Helko Läßiger gewann. Eugen, der natürlich auch für seinen Vereinskameraden Partei ergriff, bemerkte leise, dass mir jetzt ein Remis nicht mehr reiche. Trotzdem bot ich ihm kurz darauf Remis, größtenteils weil es ziemlich ausgeglichen aussah – wenn er die Abtäusche annahm, die ich ihm anbot, sah ich für beide Seiten keinen wirklichen Vorteil – und vielleicht auch etwas, um ihm zu widersprechen.

Er lehnte ab, sicherlich auch weil er immer noch der besser gewertete Spieler von uns beiden war und eine sehr positive Bilanz im Rücken hatte.

Allerdings hätte er wohl die angebotenen Abtäusche annehmen sollen. So blieb mir ein sehr aktiver Läufer in offener Stellung gegen einen Springer übrig und es gelang mir meinen rückständigen Bauern in einen gedeckten Freibauern zu verwandeln. Sein freier Randbauer geriet ihm dagegen immer mehr zu einer Schwachstelle denn einen Vorteil und dann übersah er auch noch meinen Angriff auf seinen König. Er sah sich gezwungen, die Bauern vor seinem König vorzuziehen und verpasste sich erhebliche weißfeldrige Schwächen, die ich schließlich ausnutzte und gewann.

Damit siegt ich gegen Eugen Mantu, dem zuvor in der zweiten Runde das einzige, andere Remis gegen Gunnar Kirschbaum gelungen war. Ich war immer noch einen halben Punkt vor Gunnar und ein zweiter Platz war mir nicht mehr zu nehmen.

Ein Remis war schon beinahe genug. Nur falls alle Begegnungen in der letzten Runde maximal positiv für Gunnar ausgingen, hätte er mich dann noch mit einem Sieg in Punkten und Buchholz einholen können.

Doch eigentlich hatte ich schon alles in dem Turnier erreicht. Ich hatte weit über meiner Spielstärke gespielt, hatte sehr viele neue Eröffnungen für die Partien gelernt und ich hatte sogar meine Negativserie gegen Eugen Mantu beendet. Der Rest wäre nur Bonus.

Die letzte Runde war für den 13. September angesetzt. Ich würde gegen Jörg Wulff von den Schachfreunden Greiz spielen. Allerdings war am gleichen Tag das Sommerfest in meiner Firma angesetzt, weshalb ich ihn bat eine Woche zuvor vorzuspielen.

Es gibt keine festen Vorspieltermine für die Stadtmeisterschaft, aber inoffiziell hatte sich für mich gezeigt, dass der Freitag zuvor, an dem auch die Schnellschachmeisterschaften vom Medizin Erfurt stattfinden, gerne dafür genommen wurde.
An dieser Stelle möchte ich den wirklich hervorragenden Blog von Hans-Jürgen Willert erwähnen. Er hat die Stadtmeisterschaft organisiert, betreut und mit seinen wundervollen Rundenberichten mit Fotos interessanten Stellungen und Hintergrundinformationen begleitet. Aus diesen wusste ich auch vom inoffiziellen Vorspieltermin am 06. September.
In ziemlich identischer Atmosphäre wie am regulären Spieltermin und insbesondere mit einer Anzahl anderer Spieler im Raum, um jeglichem Anschein von Mauschelei vorzubeugen, konnten wir so das alles entscheidende Spiel spielen.

Jörg Wulff war am Meldebrett 3 gestartet und war dementsprechend auch in diesem Spiel eigentlich der Favorit. Doch ich kam nicht unvorbereitet. Ich hatte ihn beobachtet und erwartete von ihm mit Weiß eine Nimzowitsch-Larsen Eröffnung. Ich wurde nicht enttäuscht und konnte alle Ideen, die ich mir im Vorfeld dazu angeeignet hatte aufs Brett bringen.

Doch ich merkte auch meine Nerven, dreimal übersah ich einen Zug von ihm und hatte Glück, jeweils noch eine gute Antwort zu finden. Deshalb bot ich auch früh Remis und war sehr froh, als Jörg dann in für ihn leicht schlechterer Stellung annahm.

Im Vorfeld war bereits das Remis von Helko Läßiger gegen Eugen Mantu in der siebten Runde bekannt geworden. Damit reichte mir nun das Remis in jedem Fall für den Turniersieg. In dem Wissen und vermutlich weil es die letzte Runde war, einigten sich auch der Rest der ersten fünf Bretter auf Remis.

Es war insgesamt ein sehr schönes Turnier, die Organisation war hervorragend und die Atmosphäre am Spieltag sehr angenehm. Vielen Dank dafür.

Jürgen Heß erreichte den dritten Platz. Gunnar Kirschbaum wurde Zweiter und Vereinsmeister von Medizin Erfurt. Ich gewann mein erstes Schachturnier seit Ewigkeiten und das erste als Erwachsener überhaupt.
Nach sieben Jahren mit einem Stadtmeister von Medizin Erfurt ging die Meisterschaft dieses Jahr an den SC Turm Erfurt.

Artikel eingereicht von Maximilian Strohner